Eine Predigt von Pfarrerin Inge Rethemeier.
Online-Predigt zum Sonntag Judika – 21. März 2021
Lieder zum Anhören, Genießen und Mitsingen:
Evangelisches Gesangbuch 76: O Mensch, bewein deine Sünde Groß
Evangelisches Gesangbuch 76: O Mensch, bewein deine Sünde Groß
Predigt in Schriftform zum Nachlesen:
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus. Amen.
Dass nicht immer im Leben alles glatt geht, liebe Gemeinde, ist eine Binsenweisheit. Immer wieder müssen wir auch schlechte Erfahrungen machen und damit fertig werden. Manchmal sind das nur recht kleine Dinge wie: „Immer, wenn man es eilig hat, ist jede Ampel auf Rot“, oder: „Alles war vorbereitet, und dann sagt der Besuch plötzlich ab“, oder -für manche besonders berührend -: „Wahrscheinlich steigt Schalke 04 aus der Bundesliga ab“.
Manchmal werden uns allerdings auch wesentlich schwerere Steine in den Weg gelegt, und unsere Schultern müssen größere Lasten tragen. Das heißt dann: „Heute hat mir meine Firma gekündigt“, oder: „Die Untersuchung beim Arzt hatte ein sehr ernstes Ergebnis“, oder: „Der gute Freund ist durch einen tragischen Unfall gestorben“.
Und wenn es dann wirklich einmal knüppeldick kommt, dann sprechen wir von einer „Hiobsbotschaft“. Hiob aber, an den wir uns jetzt erinnern, den trafen gleich mehrere zugleich – plötzlich und unerwartet, wie man so sagt. Dabei war er doch, wie es heißt, fromm und gottesfürchtig, rechtschaffen und mied das Böse, hatte zehn Kinder und einen großen Besitz. Und dann erreichte ihn eine Schreckensnachricht nach der anderen, Schlag auf Schlag. Alle Herden werden nacheinander geraubt oder vernichtet, und die Kinder kommen alle gemeinsam durch eine Naturkatastrophe um.
Wie kann das ein Mensch ertragen? Ist das überhaupt möglich? Aber Hiob spricht: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“ Es ist ein Bekenntnis, so, wie man es gelernt hat. Solche Glaubenssätze braucht man wohl – als Schutz und als Halt.
Aber eine Hiobsbotschaft fehlt noch. Er selbst wird abstoßend krank, und seine Frau wirft ihm entgegen: „Fluche Gott und stirb!“ Doch Hiob antwortet: „Haben wir Gutes von Gott empfangen und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ Ist das immer noch selbstverständlich, oder doch auch eine Herausforderung, der er sich jetzt stellen muss? Wie soll das gehen: nicht nur tragen und ertragen, sondern annehmen?
Drei Freunde, die von seinem Unglück gehört haben, kommen zu ihm, um mit ihm zu trauern, ihm beizustehen und ihn zu trösten. Gut, wenn man solche Freunde hat. Doch was soll man sagen in solch einer Situation? Da werden unsere Worte oft so schal und leer, werden leidige Tröster, und die Zeit heilt auch nicht alle Wunden. Als sie Hiob sehen, fehlen ihnen alle Worte. So sitzen sie erst einmal sieben Tage lang nur bei ihm und schweigen. Und gerade das ist oft bei Leid und großem Schmerz gut und notwendig.
Doch dann bricht es aus Hiob heraus, klagend, bitter und anklagend. „Warum muss ich das alles erleiden? Das geht doch über eines Menschen Kraft hinaus! Am liebsten wäre ich auch tot, ja besser noch: nie geboren worden. Wo bist du, Gott, warum tust du mir das an?“ Das sind keine frommen und wohlsortierten Worte. Die sind ihm jetzt vergangen. Aber das ist nicht schlimm und schon gar nicht verboten. Im Gegenteil: So kann man vor Gott reden, so soll man sogar mit ihm reden, so ehrlich und zutiefst getroffen.
Da hält es auch die Freunde nicht mehr. Bei allem Verständnis für seine Lage: Das geht ihnen nun doch zu weit. „Du nimmst ja deinen Mund recht voll, Hiob. Es ist zum Erschrecken, wie du mit Gott redest. Das ist aber nun gar nicht mehr fromm und gottesfürchtig!“ Und sie fangen an, Gott zu verteidigen und sein Handeln zu erklären. „Irgendeinen Grund wird dein Unglück ja schon haben. Bevor du hier Gott anklagst, geh doch einmal in dich und frage dich in aller Ehrlichkeit und Demut: Womit haben ich das verdient – und du wirst sicher so manche Antwort finden. Ohne Grund handelt Gott so nicht.“
Doch Hiob wehrt sich. „Was mir geschehen ist, das sprengt doch jedes Maß. So schwer kann doch keiner sündigen und sich verfehlen, zumal ich doch immer mit Gott gelebt habe. Warum tut er mir das an? Ich verstehe es einfach nicht.“
Was die Freunde ihm sagen wollen, ist vielleicht gut gemeint, aber nicht wirklich gut. Es klingt eher wie Vorwürfe von oben herab. „Du musst nur Buße tun und dich von uns auf den rechten Weg bringen lassen, dann wirst du dein Schicksal annehmen, und alles wird gut.“
Aber das hilft Hiob nicht. Es würde ihm auch nicht helfen, zu dem Schluss zu kommen: Wenn Gott dies für mich völlig Unverständliche tut oder zumindest zulässt, dann ist er nicht mehr mein Gott. Er kommt von diesem ihm jetzt fremden Gott nicht los und will es auch im tiefsten Herzen nicht. Er wartet auf eine Antwort von Gott, eine Erklärung, ob es nun Strafe oder Prüfung ist, was auch immer. Aber er muss es tun. Menschen können es nicht.
Und so wirft er noch einmal Gott alles vor die Füße – so wie es in unserem heutigen Predigttext aus dem 19.Kapitel des Hiobbuches aufgeschrieben ist:
Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach, dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach, dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift; mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einem Felsen gehauen!
Das klingt so wie: „Was soll alles weitere Klagen! Was ich sagen musste, habe ich gesagt, immer wieder. Keiner versteht mich, und alle haben sich von mir abgewandt. Und Gott antwortet mir auch nicht. In Stein gemeißelt soll mein Schicksal sein, zum Zeugnis für die kommenden Generationen. Punkt und Aus.“
Doch dann – man glaubt es kaum und holt tief Luft – geht seine Rede so weiter:
Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selber werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.
Da hat einer alles verloren, was ihm lieb und wert war, und so lange geklagt und gelitten, bis alles heraus war. Bei Menschen fand er keine Hilfe, und Gott redete auch nicht mit ihm und erklärte ihm alles. Und da findet er den letzten und einzigen Rettungsanker: „Aber“.
„Mein Erlöser lebt. Gott ist nicht tot, auch wenn ich ihn nicht verstehe. Aber er wird mich lösen, losbinden und befreien aus allem, was mich jetzt noch bedrückt und ratlos macht. Denn er lebt. Ich werde ihn einmal sehen und bei ihm Frieden finden. Und dann ist alles gut. Jetzt aber sehnt sich mein Herz in meiner Brust, und das ist genug für heute und für morgen.“
Ganz am Ende des Buches erst wird berichtet, dass Gott zu Hiob redet. Nicht so, wie wir es vielleicht erwartet hätten oder auch für angebracht hielten. Gott erklärt nämlich nichts, warum das alles geschehen ist und was er vielleicht daraus lernen sollte. Die Fragen bleiben. Aber sie brauchen keine Antworten mehr. Gott ist Gott, und wir sind Mensch. Wir können ihn und sein Handeln letztlich nicht ergründen und nicht an unseren Maßstäben und Verstehensmöglichkeiten messen. Daran übernehmen wir uns. Aber Gott thront nicht fern und unberührt von uns im Himmel. Wir sind auch nicht seiner Willkür ausgeliefert.
Gott ist mehr, als wir für möglich halten. Wir können ihn nicht mit unseren kleinen und begrenzten Einsichten und Ansichten das Maß setzen. Wir sind -wie man so schön sagt- „nicht des lieben Gottes Lehrmeister“. Nur eins ist wichtig, und das genügt: Unser Erlöser lebt. Er ist und bleibt an unserer Seite und führt uns zu seinem Ziel.
Ja, unser Erlöser lebt. Wer hätte da nicht Jesus vor Augen und im Herzen! Da ist der große Gott klein geworden um unseretwillen. Der war auch zerschlagen und am Ende – und schrie wie Hiob seine Gottverlassenheit zu Gott. Aber am Ende hat er sich über dem Staub erhoben und lebt.
Und wer auch immer seitdem leidet und fragt: Wo bist du, Gott? Und meint, er sei so weit weg, der darf zu Jesus kommen – am Kreuz auch mit unserem Schmerz. Da dürfen wir ihn sehen: jetzt mit den Augen des Glaubens und dann von Angesicht zu Angesicht.
„Danach aber sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Der Herr sei vor dir, um dir den rechten Weg zu zeigen.
Der Herr sei neben dir, um dich in die Arme zu schließen und dich zu schützen.
Der Herr sei hinter dir, um dich zu bewahren vor der Heimtücke böser Menschen.
Der Herr sei unter dir, um dich aufzufangen, wenn du fällst, und dich aus der Schlinge zu ziehen.
Der Herr sei in dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist.
Der Herr sei um dich herum, um dich zu verteidigen, wenn andere über dich herfallen.
Der Herr sei über dir, um dich zu segnen.
So segne dich der gütige Gott.
Amen.
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