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Schaut auf! Schaut zurück! Schaut hin!

Aktualisiert: 25. Apr. 2020

Eine Predigt von Prädikant Thorsten Kohlen.



Online-Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti 19. April 2020



Lieder zum Anhören, Genießen und Mitsingen:


Evangelisches Gesangbuch 117: Der schöne Ostertag



Evangelisches Gesangbuch 380: Ja, ich will euch tragen



Predigt in Schriftform zum Nachlesen:


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Predigttext: Jesaja 40, 26-31: „Die auf den Herrn harren, bekommen neue Kraft“

Liebe Gemeinde,

die uralte Erfahrung, müde und matt zu sein ist heute noch viel verbreiteter als zu biblischen Zeiten. Die Müdigkeit, von der in unserem Bibelabschnitt die Rede ist, macht junge Eltern genauso flügellahm wie Frauen und Männer in leitenden Positionen auch in den sogenannten besten Jahren. Studenten sind genauso betroffen wie Krankenschwestern. Und das gilt für normale Zeiten.


Und besonders jetzt ist diese Erfahrung noch mehr greifbar: Pflegepersonal am Rande ihrer Kräfte, Menschen die jahrelang für die Firma da waren und plötzlich von einem kleinen Virus von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit bedroht sind, Eltern die ihre Kinder seit Wochen unterrichten sollen, die verschobene ärztliche Behandlung, Kleinkinder oder Schreikinder, die Eltern an den Rand ihrer Kräfte bringen, fehlende soziale Kontakte und damit verbunden eine Zunahme an Vereinsamung, Verzweiflung, und und und…


„Ich kann nicht mehr. Ich habe solche Angst, vor der Zukunft."

„Ich habe einfach keine Kraft mehr. Zu gar nichts. Ich bin erschöpft."

Es gibt wahrlich vielerlei Gründe für diese Hoffnungslosigkeit: persönliche, berufliche, familiäre.


Auch die Israeliten waren damals saft- und kraftlos, müde und matt.

Mehr als 60 Jahre lebten sie fern der Heimat im Exil in Babylon. Sie hatten gewartet, gehofft, gebetet- doch nun waren sie müde geworden. Ihre einst prächtige Stadt Jerusalem – ein Trümmerhaufen, die mächtigen Mauern dem Erdboden gleich gemacht.


Und wo sie anfangs noch von einer baldigen Rückkehr geträumt hatten, war die Zuversicht der Ernüchterung, der Enttäuschung, der Verbitterung gewichen.

Es machte alles keinen Sinn mehr. Sie konnten sich noch so sehr mühen, noch so sehr bitten, hoffen und beten – nichts brachte sie ihrer Heimat einen Schritt näher zurück.

Und so klang es aus tiefstem Herzen: „Unser Weg ist dem Herrn verborgen, die Heimat ist verloren, unsere Freiheit ist verloren, Gott scheint uns auch verloren zu haben. Das lähmt so sehr, diese Sinn-und Hoffnungslosigkeit macht einfach müde. "Ich kann nicht mehr.“

In diese Situation hinein spricht Jesaja zu den Menschen die folgenden Worte:

26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.

27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«?

28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.

29 Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.

30 Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen;

31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

In diesem Abschnitt steht viermal das Wort „müde“, dreimal im Zusammenhang mit den Menschen, die müde geworden sind.

Was rät Jesaja nun den müde Gewordenen? Was sagt er uns?

Er betont drei Aspekte:

1. Schaut auf und seht Gottes Werke!

2. Schaut zurück und bedenkt Gottes bisheriges Wirken!

3. Schaut hin! Gott ist groß und wir nicht müde!

Das sind nicht einfach Worthülsen oder Durchhalteparolen. Das ist auch kein Abspulen theologischer Weisheiten. Das sind Ratschläge, die sollen wieder ein Ziel ermöglichen, die sollen dem Menschen, der müde geworden ist wieder eine Richtung geben für sein Leben und Arbeiten, sein Glauben und Hoffen.

Schaut auf und seht Gottes Werke!

„Hebt euer Augen in die Höhe und seht!“ Das ist ein erster Schritt, der aus der Müdigkeit und Resignation herausführen kann.

Aufsehen ganz bewusst die Perspektive wechseln, einmal wegsehen von dem, was unseren Blick, unsere Gedanken und Gefühle so gefangen hält.

Oft sind verzweifelte Menschen nicht nur innerlich, sondern auch körperlich sehr in sich gekehrt.

Aufsehen verändert nun die Haltung und die Blickrichtung. Man richtet sich auf, gewinnt Raum und Luft zum Atmen.

Das möchte Jesaja: unseren Blick auf Gott und seine Werke lenken. Auf die Größe Gottes, auf den, der Himmel und Erde gemacht hat.

In diesen Tagen ist es wunderbar möglich: abends das Erheben der Augen und das Betrachten des Sternenhimmels. Das erspüren wir eine viel größere Dimension unseres Lebens.

Und wir alle kennen ja das Lied : Weißt du wieviel Sternlein stehen, an dem blauen Himmelszelt... Gott, der Herr, hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet an der ganzen großen Zahl.“

Und dann diese persönliche Zusage im letzten Vers: “kennt auch dich und hat dich lieb, kennt auch dich uns hat dich lieb.“

Ist das nicht zum Staunen? Der, der diese Welt und dieses Universum in seinen Händen hält, hält auch mein Leben umschlossen.

Der, der die Gestirne in ihren Bahnen lenkt, will auch mein Leben in den richtigen Bahnen führen. Er kann, er will und er hat die Macht und die Möglichkeiten dazu.

Im Aufschauen und Betrachten von Gottes herrlicher Schöpfung kann uns diese Gewissheit wachsen.

Aufsehen – Gottes Spuren entdecken – das ist ein erster Schritt heraus aus der Müdigkeit und Mutlosigkeit.

Und dann haben wir im Gegensatz zu den Israeliten im Exil noch einen weiteren Blickpunkt: Wir dürfen und können Aufsehen zu Jesus.

Im Hebräerbrief finden wir es: “Lasst uns aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens.“

Seit Ostern können wir frei und hoffnungsvoll aufsehen und entdecken weit ausgebreitete Arme und einladende Worte:

“Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“

Seit Ostern finden wir in Jesus nun den, der uns die Last der Schuld und des Versagens abnimmt und uns wirklich entlastet. Der Auferstandenen zeigt, wohin die Reise unseres Lebens geht. Ostern gibt unserem Leben die Hoffnung die trägt und eine herrliche Zukunft.

Doch unser Jesaja lenkt im zweiten Aspekt auch den Blick zurück:

Schaut zurück und bedenkt Gottes bisheriges Wirken!

Der Prophet fragt und erinnert sehr direkt: “Weißt du nicht-Hast du nicht gehört?“.

Ja, ja. Manchmal müssen wir wohl mit der Nase wieder direkt drauf gestoßen werden, was Gott in unserem Leben schon alles getan hat, einfach weil die augenblickliche Kraft- und Hoffnungslosigkeit uns oft in bestimmten Erfahrungen der Vergangenheit oder uns sorgenvoll in der Zukunft gefangen hält und so die Erinnerung raubt.

Den Gefangenen in Babylon ist sicherlich viel eingefallen, als der Prophet sie fragte: “Weißt du nicht mehr? Hast du nicht gehört?“

Sie erinnerten sich an viele Situationen in der Geschichte Israels wie Gott konkret eingegriffen hat. Sie erinnerten sich, dass Gott stets mit ihnen war und sie leitete wie ein guter Hirte.

Ob wir uns nicht ebenso erinnern, wenn wir zurückschauen?

Die Situationen wo wir es gespürt oder im Nachhinein verstanden haben dass Gott bei uns war und letztlich Segen daraus erwuchs: im Operationssaal und am Arbeitsplatz, im Urlaub, in der Krise, in den Beziehungen…

Und so oft haben wir doch es schon gesungen:

“... in wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet?“

oder:

“... der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an, unzählig viel zugut bis hierher hat getan.“

Sollte unser Gott, der bisher so viel Gutes getan hat, nicht auch heute und weiterhin und in jeder Situation Gutes tun können?

Jesus selber erinnert uns daran:

Welcher Vater gibt seinen Kindern einen Stein wenn dieser um Brot bittet? Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.

Hier ist kein: „vielleicht“, „unter Umständen“, „schau'n mer mal“. Nein: Wir bitten und es wird uns gegeben. Gott möchte uns Gutes tun, Gott möchte uns segnen.

Weißt Du es nicht mehr? Es ist ein guter zweiter Schritt heraus aus der Mutlosigkeit, wenn wir uns erinnern an Gottes Geschichte mit uns.

Und der dritte Aspekt:

Schaut hin! Gott ist groß und wird nicht müde!

Beim Propheten heißt es: “Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich."

Unser Problem ist es, dass wir oft sehr kleingläubig sind, dass wir zu klein von Gott denken, wahrscheinlich auch, weil wir ihn mit unseren menschlich begrenzten Erfahrungen und Wissen, unseren Prägungen und Sozialisationen einfach nicht in seiner ganzen Größe und Tiefe erfassen können.


Aber, Gott sei Dank, gilt dennoch: Gottes Möglichkeiten sind mit unseren menschlichen nicht vergleichbar.

Wir werden müde. Gott nicht.

Wir sehen oft nicht, wie es weitergehen soll. Er weiß den Weg für uns.

Wir können nur in kleinen Zeiträumen denken, Gott überblickt alle Zeit.

Wir stoßen menschlich verstandesmäßig einfach schnell an unsere Grenzen. “Sein Verstand ist unausforschlich.“

Gott ist und bleibt viel größer als alle Pandemien, als alles, was uns Not macht, als alles was sich wie ein Berg vor uns auftürmt, als alles was uns bedroht.

Natürlich weiß ich auch: manches wird uns weiterhin Not machen, durch manches dunkle Tal werden wir weiterhin gehen, manche Führungen Gottes bleiben uns unverständlich. Ich halte nichts von: Glaube an Gott und alles ist dann immer Sonnenschein. Es braucht den Regen, ohne ihn gibt es im Leben kein Wachstum, keine Veränderung. Aber diese Worte Jesajas beschreiben die tiefergehende Basis, die uns bei diesen Stürmen an der Oberfläche tief im Inneren hält und tragen will.

Diese Gewissheit im Inneren, dass dieser große Gott immer und jederzeit für uns da ist, wie ein Vater für sein Kind,.

Machen wir es doch wie die Kinder, rät uns Jesus. Ich weiß wie schwer uns Erwachsenen das fällt. Und doch bleibt das reizvoll und würde mich aufatmen und durchatmen lassen. Kindliches Vertrauen. Vertrauen wir diesem Vater.

Dann können wir erleben, dass wir herauskommen aus den Fallwinden die uns immer wieder nach unten ziehen und frischen Aufwind kriegen.

Dreimal ist bei Jesaja von Müdigkeit die Rede,

Dreimal, spricht er aber auch davon, dass Gott dem, der ihm vertraut, Kraft gibt:

„Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.

Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“

Ein schönes Bild, gerne zitiert.

Aber und und vor allem: Wie geht das?

Harren – ein altes Wort, dass heute im modernen Sprachgebrauch so gut wie nicht mehr anzutreffen ist.

Und nicht nur das Wort, auch die Bedeutung ist aus der Mode gekommen.

Harren das meint mehr als bloßes Warten. Und schon gar nicht gemeint das ungeduldige Warten auf den Bus, oder die Antwort bei WhatsApp oder Emails oder die Information bei Google wenn es nur 3G gibt…

Harren hat etwas innerlich Aktives. Im Harren ist Spannkraft und Bewegung.

Äußerlich erfasst uns vielleicht der bleierne Mantel der Müdigkeit, aber innerlich glaubt dennoch an die Verheißung: neue Kraft wird mir zuwachsen, Irgendwie. Irgendwann. Gott weiß, wann es Zeit ist.

Und für dieses Zuwachsen der Kräfte gebraucht der Prophet ein wunderschönes Bild.

Die Kraft des Adlers ist bekanntlich in seiner riesigen Flügelspannweite, beim Riesenseeadler sind das bis 2,90 Meter. Das muss man sich einfach mal kurz innerlich vorstellen.

Wie entfaltet sich nun diese Kraft am besten?

Genau dann, wenn das Tier sich überlässt, sich tragen lässt von den Aufwinden, die ihm von unten her Auftrieb geben und an Höhe gewinnen lassen.

Kein nervöses Flattern und Flügelschlagen bringen den Adler in die Höhe, sondern dieser Instinkt, in völliger Ruhe diesem Aufwind zu vertrauen und sich nach oben gleiten zu lassen mit Hilfe der Thermik.

Purer Aktionismus und verzweifeltes Strampeln hilft also wenig. Und doch machen wir Menschen gerade in unserer heutigen Erregungsgesellschaft dass so gerne.

Aber Ruhe und Vertrauen hebt einen in die Höhe.

So können wir erleben, dass wir Aufwind bekommen:

durch das Aufschauen auf Gottes Werke und auf die Spur, die Gott in Jesus auf unserer Erde hinterlassen hat, an deren Ende wir das Licht der Auferstehung sehen.

Wir bekommen Aufwind durch das Zurückschauen auf Gottes Geschichte mit seinem Volk und mit uns.

Und wir bekommen neue Kraft durch unser Hinschauen auf Gottes Größe.

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


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