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Liebe nicht nur deine Frau und deine Familie und deine Freunde: Liebe die, die dir Böses wollen!

Eine Predigt von Pfarrer Bodo Meier.



Online-Predigt zum vierten Sonntag nach Trinitatis – 5. Juli 2020


Predigt in Schriftform zum Nachlesen:

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.


„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ So heißt ein altes Sprichwort und wir alle können dem wohl zustimmen. Vielleicht hat der eine oder die andere unter uns sogar schon zu tun gehabt mit einem solchen Nachbarn, der einfach keine Ruhe geben wollte – um was auch immer es ging.


Andere Menschen und meistens wirklich die aus unserer unmittelbaren Umgebung – können unser-einem das Leben schon schwer machen. Dann ist ja klar, dass ich nicht in Frieden leben kann. Interessant ist nur, dass mein Nachbar genau so denkt. Für die Menschen dies- und jenseits des Zauns sind die Rollen klar verteilt: Der böse Nachbar ist der andere. Der Fromme, der nicht in Frieden leben kann, das bin ich. Jeder der Nachbarn denkt so. Denn jeder denkt in jedem Streit: Ich habe Recht und der andere Unrecht. Es ist immer der andere, der sich ändern muss, der nachgeben muss, der einsehen muss, dass ich Recht habe.


Es sind immer die anderen, die Probleme machen. Ich brauche in diesen Zeiten keine Maske tragen, weil ja sowieso alles von Bill Gates gesteuert ist. Ich beschimpfe aber die Frau neben mir im Bus, weil sie mich ohne Maske angehustet hat. Sogar in einem Supermarkt unseres Ortes wird sich neuerdings geprügelt, nur weil sich einer in der Schlange an der Kasse nicht so verhalten hat, wie sich das gehört – betrunken hin oder her: Die anderen sind schuld, und deshalb darf ich draufhauen.


Wenn nur alle so wären wie ich mir das wünsche, dann wäre die Welt ein besserer Ort. So schreibt uns ja sogar der Apostel Paulus heute Morgen: „Ist‘s möglich, so viel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Na, sag ich doch! Es liegt nicht an mir. Ich würd ja gern in meinem Frieden leben, aber die anderen wollen nicht so wie ich.


Na ja, sagt Paulus. Das mag ja sogar so sein. Aber ich wollte dir keine Rechtfertigung für deinen Streit mit dem Nachbarn liefern, sondern eine Gebrauchsanweisung, wie du diesen Streit überhaupt gar nicht erst beginnen wirst. Römerbrief, Kapitel 12:


„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“


„Böses mit Bösem vergelten!“ Wie sich das anhört. Als ob wir jemals etwas Böses getan hätten. Wir haben keinen umgebracht, keinen bestohlen und waren in unserer Ehe treu. Stimmt doch, oder? Wir sind doch nicht böse. Wir meinen es doch nur gut. Selbst, wenn wir streiten.


Und so reden wir uns, liebe Gemeinde, um Kopf und Kragen. Weil wir meinen, dieser Paulus ginge uns nichts an. Weil wir uns so sicher sind, zu den Guten zu gehören. Weil wir deshalb gar nicht merken, dass Paulus nicht einfach einen seiner klugen Briefe schreibt, sondern auf Worte Jesu Christi baut.


Worte des Herrn, die tatsächlich und wirklich alles Böse überwinden: Liebe nicht nur deine Frau und deine Familie und deine Freunde: Liebe die, die dir Böses wollen. Du kannst dich nicht darauf berufen gut zu sein, denn wenn du nur jemandem zornig bist, so hast du schon getötet. Wenn du nur auf jemandes Besitz schielst, hast du schon gestohlen. Wenn du nur einer anderen hinterher siehst, warst du schon untreu. Du magst es gut meinen, aber das Gegenteil von „gut“ ist ja auch nicht „böse“ sondern „ich hab‘s nur gut gemeint“.


Denn das Gute, das ich will, tue ich nicht. Aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich – so schreibt Paulus fünf Kapitel zuvor in seinem Römerbrief. Immer wenn wir Menschen zwischen gut und böse unterscheiden wollen, scheitern wir. Was ist schon gut? Wer ist schon böse? Wir stahlen uns das Wissen um gut und böse vom Baum der Erkenntnis im Garten Eden. Gott wollte das nicht! Er vertrieb uns deswegen und ließ uns als moralische Wesen zurück, die von nun an selbst mit gut und böse umgehen müssen. Und die Welt da draußen zeigt uns, wie wir immer wieder daran scheitern.


Wir sind getrieben und können nicht anders als in gut und böse zu denken. Teilen alles danach ein und setzen alles daran selbst Betrug und Lüge – um zu den Guten zu gehören. Sobald es an uns ist, diese Welt in gut und böse einzuteilen, herrscht Krieg, Mord und Unrecht. Denn jeder meint zu wissen, dass das Böse auf der anderen Seite ist, die es natürlich zu bekämpfen und zu zerstören gilt oder mindestens zu unterwerfen.


Dann hört doch einfach auf damit, sagt Paulus. Sucht nicht das Böse. Es könnte sein, dass ihr euch dann selbst findet. Sucht vielmehr das Gute. Dann wird sich Gott von euch finden lassen. Denn Gott allein ist gut, sagt Christus. Und der weiß längst, was euch zu schaffen macht.


Es ist ja nicht das Wissen um gut und böse. Nein, es sind euer Herz und eure Seele, die ständig um gut und böse ringen müssen und ständig daran irre werden. Das verwirrt, verletzt und macht wütend. Es ist sind Sehnsucht nach dem Guten und die Furcht vor dem Bösen, ohne beides erklären zu können. Ihr werdet wütend, wenn euch Unrecht geschieht, obwohl ihr doch alles gut gemacht habt. Es bleibt dann nur euer Zorn, eure Wut.


Es geht euch gar nicht um Gerechtigkeit, darum, dass das Gute siegt. Nein, es geht darum, dass ihr siegt: Wenn ihr ehrlich seid, dann will eure Wut es dem bösen Nachbarn mal so richtig zeigen. Das aber nennt man Rache. Deshalb versteckt ihr euch hinter Gut und Böse, hinter Recht und Gerechtigkeit. Dabei seid ihr einfach nur verärgert und wütend. Es ist unser Gefühl, das wir nicht unterdrücken können, und deshalb im Streit nie nachgeben werden.


Und ausgerechnet an diesem Punkt, da wir gefangen sind von unserer Wut und unserer Vergeltungssucht, da lässt Paulus in diesen Zeilen seines Römerbriefs das Evangelium, die gute Botschaft unseres Gottes aufleuchten: Ihr müsst nicht wie moralisch geläuterte Wesen eure Gefühle unterdrücken, weil sie doch für ach so liebe Christenmenschen verboten sind. Nein, Gefühle sind da. Und unser Gott weiß das. Und deshalb hebt er sie für euch auf, schreibt Paulus: „Die Rache ist mein“ spricht Gott im fünften Buch Mose. Sie ist nicht und niemals unser. Aber sie hat ihren Ort.


Das Gefühl muss nicht verschwinden, wir dürfen es zulassen, aber dem geben, der allein gut ist, der allein rächen kann, was diese Welt verdirbt. Euren Zorn müsst ihr nicht herunterschlucken und daran ersticken. Im Gegenteil: Atmet tief durch und gebt Raum den Zorn Gottes. Da ist eure Wut gut aufgehoben. Gott allein weiß, wieder vom Zorn abzulassen.


Aber bitte, bitte: Es bleibt Gottes Rache, Gottes Zorn. Unsere Gefühle, unsere Verletzungen müssen wir nicht bezwingen. Wir dürfen sie zulassen, lassen und abgeben. Sie sind nicht vergessen. Sie haben ihren Ort. Gott selbst wird für uns streiten, vergelten, vergeben und versöhnen. So überwindet der allein Gute alles Böse.


Und ich kann durchatmen, zum Gartenzaun gehen und meinem Nachbarn zurufen: Mensch, was war ich wütend auf dich. Probieren Sie‘s aus. Er wird Ihnen zustimmen. Ihrem Nachbarn ging es genau so. Worum Sie stritten, werden Sie beide nicht mehr wissen wollen. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Pfarrer Bodo Meier

Römer 12, 17-21

Vierter Sonntag nach Trinitatis


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