Eine Predigt von Pfarrer Bodo Meier.
Online-Predigt zum neunten Sonntag nach Trinitatis – 9. August 2020
Predigt in Schriftform zum Nachlesen:
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Warum erschlug der Teufel seine Großmutter? Antwort: Weil sie keine Ausrede mehr wusste! Ausreden können Leben retten – oder es wenigstens leichter machen. Wir kennen das alle, auch wenn wir es nicht gerne zugeben. Eine Ausrede geht so leicht über die Lippen. Eine unangenehme Einladung? Ausgerechnet an diesem Wochenende habe ich meinem Kind versprochen ins Kino zu gehen – auch wenn das Kind davon noch gar nichts weiß. Eine fehlende Hausaufgabe in der Schule? Meine Mutter hat das Aufgabenheft verloren. Was kann ich dafür? Ein einfacher Satz – und schon bin ich aus der Verantwortung raus.
Ausreden sind kleine Lügen, sind vorgeschobene, gebogene Wahrheiten, aber sie verteidigen mein Leben auf ganz schlichte und schnelle Weise. Wenn ich eine Aus–rede habe, kann der andere mir nicht rein–reden. Natürlich sollte man das nicht übertreiben. Wer dauernd eine Ausrede parat hat, der wird schnell einsam. Denn irgendwann haben die Menschen mit ihm dann aus–geredet.
Wie auch immer: Manchmal können wir Menschen verstehen, die sich herausreden wollen. Uns selbst ist das ja nicht fremd. Eine Aufgabe, die mir zu groß erscheint, zu ernst. Etwas, das nicht schief gehen darf und ausgerechnet ich darum gebeten werde. Etwas, das mein Leben dauerhaft verändern würde. Wenn eine ehrliche Erklärung, es abzulehnen, zu lange dauern würde oder zu kompliziert wäre: Dann muss eine Ausrede her, und zwar eine gute.
„Ich bin zu jung dazu!“ Das war alles, was Jeremia einfiel, als er das Amt des Propheten übernehmen sollte. Gott hat das nicht überzeugt. Im ersten Kapitel des Jeremia-Buches klingt diese Geschichte so:
„Des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
Ich aber sprach: Ach, HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
Ich bin zu jung. So schlecht war die Ausrede nicht. Wenn Gott einen zu den Königen und Mächtigen schicken will, um sie zu mahnen, ihre Macht nicht zu missbrauchen und sie daran zu erinnern, dass sie auch nur Menschen sind, wie die, die sie knechten, dann brauchen wir doch einen mit politischer Erfahrung. Wenn Gott einen zu seinem Volk schicken will, um es zu mahnen, ihn nicht zu vergessen und das Leben wieder zu finden, dann brauchen wir einen mit moralischer Autorität und allgemeiner Anerkennung. Nein, lieber Gott, ich bin weder ein erfahrener Politiker noch eine moralische Instanz. Ich bin einfach zu jung. Jeremia hat eine gute Ausrede – denkt er! Aber er hat nicht zugehört.
Ich kannte dich, bevor du geboren wurdest und machte dich schon vor deinem Leben zum Propheten. Wir Christen reden so gern – und zurecht – vom Leben nach dem Tod. Bei Gott – so hören wir heute – gibt es auch ein Leben vor der Geburt. Gott kannte Jeremia, noch bevor er ihn erschuf. Schon vor unserem Leben haben wir einen Namen bei Gott, will sagen, sind wir vor unserem Schöpfer unverwechselbar. So auch Jeremia.
Gott beruft ihn nicht zum Propheten, weil er Lebenserfahrung hat, weil er sich ausgezeichnet hat als vielleicht ein besonders frommer Mann oder moralisch integrer Mensch. Er wird Prophet, weil Gott ihn kennt, weil sein Schöpfer ihn dazu macht. Von wegen zu jung. Er war noch nicht mal geboren, da war es bei Gott beschlossen: du bist mein Prophet vor Königreichen und Völkern. Jeremia hat eine denkbar schlechte Ausrede, als Gott mit ihm spricht.
Genau darum geht es jetzt, nachdem wir die Ausreden hinter uns haben. Gott spricht mit Jeremia. Das ist Schrecken und Trost zugleich. Schrecken, weil Jeremia ahnt: Aus der Nummer komme ich nicht mehr heraus. Gott stellt mich in eine Reihe mit Moses, Josua, Debora oder Samuel, ja sogar mit Jesaja! Das sind zu große Namen für unseren jungen Mann. Da kann man schon mal erschrecken, was Gott da einem zumutet – was Gott da einem zutraut.
Das aber ist zugleich der Trost: Gott traut es mir zu. Allein, weil Gott mit mir spricht. Es hat gar nichts mit mir zu tun. Gott spricht mit mir: Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir. Ich sende dich. Predige, was ich dir sage.
Das ist vielleicht das Schwerste am Prophetenamt. Zulassen, dass Gott spricht. Denn normalerweise – wenn wir schon keine Ausreden mehr haben – dann wollen wir doch wenigstens mitreden. Sagen, was uns wichtig ist, wie wir die Welt retten würden, wenn auch nur am Stammtisch. Schließlich haben wir etwas zu sagen, so unsinnig das auch sein mag – wir haben ein Recht dazu und wir lassen uns von niemandem den Mund verbieten – von keiner Maske und erst recht nicht vom lieben Gott.
Doch! Genau das ist das Amt des Propheten. Gottes Wort hören. Sich von Gottes Wort anrühren lassen. Gottes Wort sagen. Im doppelten Sinn des Wortes spricht Gott mit „Jeremia“: „Ich rede mit dir und ich will mit dir zu Königen und zu meinem Volk reden. Mit deinem Mund, Jeremia, redet dein Gott. Und so streckt Gott seine Hand aus und legt sie Jeremia an den Mund. Einer Schöpfung gleich macht Gott aus Jeremia den Propheten. Gott spricht und es geschieht.
Deshalb schreibt Jeremia von seiner Berufung: Des Herrn Wort geschah zu mir. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche: Du reißt aus, zerstörst und verdirbst. Du baust und pflanzt.
Gottes Wort redet nicht, Gottes Wort wirkt. Es mischt sich ein, wird unbequem. Es verheißt den Elenden, dass sie satt werden und droht den Reichen, dass sie leer ausgehen. Es hört nicht auf, uns die Not der Menschen in Lagern auf Lesbos und deren Tod auf dem Mittelmeer vor Augen zu malen. Es mahnt, nie wieder zuzulassen, dass Menschen Menschen verachten.
Schnell sind wir mit Erklärungen und Rechtfertigungen dabei, aber wer will unsere Ausreden hören. Gott ist hier, der durch den Propheten redet. Unser Mund ist versiegelt und spricht nur, was Gott uns hören lässt: Seht euch vor, die zu verachten und denen Unrecht zu tun und die leiden zu lassen, die euer Gott schuf, sie mit Leben und Atem und Würde und Gottesebenbildlichkeit zu krönen. Seid ihr doch still. Gott ist eurer Ausreden müde und kann euren Hass nicht mehr ertragen.
Jeremia war sein Prophet. Durch ihn geschah Gottes Wort. Sie haben ihn umgebracht. Sie haben ihn nicht ertragen. Was waren das damals für brutale Zeiten.
Heute, wenn sich einer zum Willen Gottes und zu seiner Menschenliebe öffentlich bekennt, braucht er sich doch nicht zu fürchten, oder? Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Pfarrer Bodo Meier
Jeremia 1, 4-10
Neunter Sonntag nach Trinitatis
9. August 2020
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