Eine Predigt von Prädikant Thorsten Kohlen.
Online-Predigt zum Sonntag Exaudi – 24. Mai 2020
Lieder zum Anhören, Genießen und Mitsingen:
Evangelisches Gesangbuch 571: Unser Leben sei ein Fest
Evangelisches Gesangbuch 136: O komm Du Geist der Wahrheit
Predigt in Schriftform zum Nachlesen:
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: „Erkenne den Herrn“, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.
So steht es bei Jeremia 31, 31-34.
»Ich habe das Leben und den Tod vor dich hingegeben, den Segen und den Fluch. Wähle das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen«
So steht es im 5. Buch Mose 30,19
Damit Du lebst.
Zitternd hebt unser Prophet Jeremia die Scherbe auf, auf der noch diese drei Worte stehen. Sie sind übrig geblieben, sonst nichts. Unter seinen Sandalen knirschen die Trümmer des Jerusalemer Tempels. Alles, was Gott je gesprochen hat, alles, was an Liedern hier über die Jahrhunderte zu seinem Lobe gesungen wurde – weg – nur noch diese drei Worte auf der Scherbe zeugen davon. Damit du lebst! Dabei ist doch nun alles zu Staub zerfallen, liegt alles in Trümmern…
Immer wieder hat Jeremia seinem Volk dieses Unheil prophezeit. Kapitel um Kapitel hat er sein Volk ermahnt, dass sie die falschen Bündnisse schließen. Dass es Israel nicht gut tut, militärisch zu paktieren.
Doch sie sind falschen Propheten auf den Leim gegangen. Nicht dem Propheten im eigenen Land, sondern den falschen Propheten haben sie geglaubt.
Und so haben sie Waffen geschmiedet statt Pflugscharen. Aber nun liegen die Felder brach. Es gibt kaum noch Brot, das gerecht zu teilen wäre. Viel zu viele Menschen haben kein Auskommen mehr mit ihrem Einkommen. Bitter enttäuscht stehen sie nun vor der Brache und hungern, schlimmer denn je. Hungern nach Brot, hungern nach Gerechtigkeit. Hunger nach der Wahrheit und nach Hoffnung.
Einsam steht Jeremia dort im Staub. Dort, an dem zerstörten Ort, wo Gott diesen Hunger immer zu stillen vermochte. Dort, wo er einst glanzvoll wohnte. Doch Gott ist ausgezogen. Er hat den einzigartigen Bund des Lebens mit seinem Volk aufgekündigt – wegen fortwährender Untreue.
Mein Gott, mein Gott, denkt der Prophet, warum hast du uns verlassen? Die Leere an diesem Ort ist mit Händen zu greifen. Und in ihm schreien drei Worte: Gott fehlt mir.
Gott fehlt. Mir.
Ich glaube diese drei Worte kennen sehr, sehr viele Menschen in unserer Zeit. Dieses Gefühl, einsam zu sein und irgendwie verloren gegangen. Manchmal gibt es Wüstenzeiten im Leben, in denen man sich so elend fühlt und angeschlagen und ungesehen. Da zieht jemand aus und sagt: Ich liebe dich nicht mehr. Oder der geliebte Mensch geht unwiederbringlich aus meinem Leben und lässt überall einen leeren Platz zurück.
Die Finsternis in einem Leben hat viele Namen, auch hier unter uns. Und schlimm ist, wenn die Gedemütigten, wenn die Kleingemachten sich in solchen Zeiten nicht nur von der Welt, sondern auch von Gott verlassen fühlen.
Ganz ehrlich: Ich verstehe das. Manchmal kommt Gott einem so unverständlich vor. So fern. So abgehoben von der Realität. Und für viel zu viele ist Gott sowieso schon längst unbekannt verzogen. Keine Ahnung, wo er wohnt, sagen sie. Wie er heißt. Was er tut. Was er will. Und gerade jetzt, wenn es heißt: „Er ist aufgefahren in den Himmel“, weg... Und daher feiern die Menschen lieber Vatertag.
Aber auch die Anderen gibt es: "Wo ist Gott, wer ist Gott?", fragen inzwischen immer mehr Menschen und riskieren den Blick in den Himmel. Sie ahnen irgendwo, dass es gut ist, mehr von sich und den eigenen Mustern abzusehen und den Horizont zu erweitern. Sie suchen. Wir suchen. Etwas, das einem den Sinn erklärt.
Manches davon wissen wir noch. Wir tragen zumindest Bruchstücke erfahrener Gottesnähe in uns. Solche Scherben wie Jeremia. Ein Lied zum Beispiel. Ein Bild von der Taufe des Kindes. Ungewohnte Worte wie Barmherzigkeit. Jesus.
Ja. Da ist eine Sehnsucht tief in uns Menschenleben . Eine Sehnsucht, dass sich diese Bruchstücke unseres Lebens wieder zusammenzufügen zu einem guten Ganzen. Eine Sehnsucht, irgendwie an der Vollkommenheit Gottes teilzuhaben, zurückzukehren in das Paradies – und dass Gott aus der großen, himmlischen Weite in mein kleines Leben herunterkommt. Damit es vielleicht aufhört, dieses ständige „Warum?“; dieses Gefühl, da sei kein Sinn dahinter. Damit es nicht mehr so einsam ist in schwerer Zeit. Damit man nicht mehr sagen muss wie Jeremia: Gott fehlt. Mir.
Jeremia wendet seinen flehenden Blick vom Himmel ab und schaut auf den Boden. Da steht doch was? Vorsichtig hebt er die Scherbe auf. Und mit ihr Worte, die ihn retten.
Damit du lebst.
Inmitten der Verlorenheit, unter Staub und Asche, unter Schuld und Not, da liegt dieses Lebenswort.
Behutsam nimmt er die Scherbe in seine Hand und schließt die Augen. Damit du lebst… Und plötzlich wächst in ihm die Gewissheit: Es geht weiter…
Nein, es geht nicht nur weiter: Es fängt etwas Neues an! Und dieses Neue, das versteht Jeremia in diesem Moment, diese Neue kommt nicht mit Getöse und Macht. Nicht mit Glanz und Gloria. Sondern es kommt leise, es kommt in Zerbrechlichkeit und Stille, es kommt in unseren Herzen.
Stille, liebe Gemeinde. Damit wir es hören können:
Ich will einen neuen Bund schließen, sagt Gott. Nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit euren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen… sondern das soll der Bund sein: Ich will mein Gesetz in euer Herz geben und in euren Sinn schreiben, und ihr sollt mein Volk sein und ich will euer Gott sein.
Damit sie leben.
Einen neuen Bund. Neu, das ist das Schlüsselwort unseres Predigttextes. Neu, denn der Bund ist anders als bisher. Gott hat seinen Ort nicht mehr im Tempel in Jerusalem.
Nein, er wohnt jetzt nahe unserem Herzen, er wohnt jetzt bei uns. Der neue Bund wird nicht mehr in Gesetzen verfasst, in Dogmen zementiert, von Lehrern eingetrimmt, mühsam auswendig gelernt. Es wird keiner den anderen lehren. Dieser neue Bund und Glaube ist keine Gehorsamsleistung mehr, kein minutiöses Einhalten von Gesetzen. Er macht uns nicht mehr zu Kindern, die an der Hand des Vaters gehen müssen, damit sie den richtigen Weg aus Ägypten finden. Sondern in diesem neuen Bund „erkennen alle, klein und groß“, Kind und Mann und Frau, wer ich bin, spricht Gott.
Und dieses „Erkennen“ ist im Hebräischen ein wunderschönes Wort. Es wird gebraucht, wenn zwei ihre Liebe zueinander entdecken und die Sehnsucht sie treibt, sich zu vereinen. Das ist das Bild für diesen neuen Bund des Lebens!
Denn er wird geboren aus der Liebe zwischen Gott und Mensch, einer Liebe die nichts Menschliches auslässt. Sie umfasst alles: das, was uns unglücklich macht und wo es zerbrechlich ist. Aber auch das, was uns so glücklich sein lässt.
Der neue Bund ist geprägt von dem Gedanken, dass ein Mensch, wenn er sich geliebt weiß und daher selber liebt nicht zerstören kann und will. Dass er alles dafür tut, damit die Wüste wieder blüht. Dass das Brot gerecht verteilt wird – das Frieden gestiftet wird – und deshalb im irrsinnigen Getöse der Welt immer wieder die Stille übt.
Stille, damit wir unseren Gott hören – in diesem Dorf. In diesem Land. Stille, damit du hörst und in deinem Herzen es spürst wie Du geliebt wirst und daher dass du leben darfst!
Denn das ist die entscheidend neue Bewegung dieser Bibelstelle: Gott will, dass du lebst. Und er geht hier ja noch weiter: Er bindet dich ein in seiner Liebe – und lässt dich deshalb los. So wie Väter und Mütter auch loslassen müssen. Voll der Hoffnung, dass die Losgelassenen Freiheit und Erkenntnis in sich vereinen mögen. Deswegen liebt sich Gott in dein Herz hinein, damit du in die Welt hinaus gehen kannst. Geliebt, stark. Und dann entsprechend handelst. Damit du Bündnisse für das Leben schließt. Für das Leben und gegen den ganzen Irrsinn der tobenden Welt. Bündnisse für das Leben, für den Frieden, für die Unterdrückten.
Gott liebt sich in unser Herz, dass wir in die Welt gehen und Bündnisse für das Leben kreieren. Bündnisse, damit nicht nur du und ich, sondern alle leben. Aufrecht, würdevoll, frei, geliebt und mit Perspektive. Damit kein Mensch mehr sagt: Gott fehlt. Mir. In diesem Dorf. In diesem Land. In dieser Welt. Sondern, im Gegenteil, dass das Herz erkennt: Gott wohnt hier. Mitten unter uns. Mitten unter uns Losgelassenen.
Und voller Dankbarkeit erkennen wir plötzlich wie unser Jeremia, dass unser Leben eine Richtung hat. Sinn. Dass da so viel Licht ist und Kraft. Dass Trost uns erreicht hat inmitten mancher Trostlosigkeit. Gott schreibt es in unser Herz.
… und siehe, wir leben! Jetzt und über den Tod hinaus!
Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
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